Nonsens, Hoax, Fake News, Verschwörungstheorien – das Netz ist so voll von derartiger „Informationsverschmutzung“, dass Philippe Wampfler, einer der profiliertesten Experten zu Fragen der digitalen Bildung, in diesem Monat ein neues Buch über dieses Phänomen vorgelegt hat. Unter dem Titel „Schwimmen lernen im digitalen Chaos – Wie Kommunikation trotz Nonsens gelingt“ wird auf 156 interessant zu lesenden Seiten auch eine Art Programm zum Umgang mit „Nonsens“ entworfen, das gerade auch im schulischen Kontext für Eltern, Lehrkräfte und Schüler erste Handlungsempfehlungen offeriert. Daher beschäftigt sich #BayernEdu in seiner 1. Rezension etwas ausführlicher mit dieser Neuerscheinung:
Wampfler, das merkt man gerade am Anfang des Buches, ist ein Vollblutwissenschaftler, der gerne definiert, abgrenzt und seine Thesen mit aktuellen Beispielen veranschaulicht. Man erwartet bei diesem Thema natürlich Bezüge zum vergangenen US-Wahlkampf (Stichwort „Pizzagate“) und bekommt diese auch geliefert. Sein Fokus liegt aber zunächst auf der Begrifflichkeit „Nonsens“, der er das Konzepts des „Bullshits“ (Reden, ohne wirklich etwas zu sagen) und der momentan sich in aller Munde befindlichen „fake news“ (fabrizierte Meldungen mit Täuschungsabsicht) gegenüberstellt. „Nonsens“ ist für Wampfler eine Art Oberbegriff. Es geht nämlich letztlich bei jeglicher derartiger Äußerung darum, dass Menschen bei ihrer Informationssuche verunsichert werden, wenn sie den „Nonsens“ nicht als diesen erkennen können. Das mag es auch in analogen Zeiten schon gegeben haben. Heutzutage sind User aber Prosumierende und verbreiten diesen Nonsens auch unreflektiert, was auch zur derzeitigen Medien- und Vertrauenskrise gegenüber Eliten beigetragen hat. So weit, so richtig.
Daran anschließend werden gesellschaftliche Faktoren der „Nonsens-Produktionsmaschinerie“ analysiert. Die technischen Voraussetzungen Nonsens ins Netz zu stellen sind spürbar niederschwellig, wie eindrucksvoll an der Seite Channel23News.com illustriert wird. Eine veränderte Medienlandschaft (wiederum am US-Beispiel gezeigt, warum eigentlich nicht einmal an einem anderen, weniger bekannten Beispiel?) und die schwindende mediale Sicherheit sind der Output dessen. Wirklich interessant zu lesen sind die Kapitel zu den Hintergründen der „Kommentarkultur“ im Netz, die Wampfler mit dem reißerisch-korrekten Begriff „Meinungspornografie“ umschreibt. Das ehemalige Schreibkonzept der Netiquette ist tot, da das Explizite, die Inszenierung und der Tabubruch mehr Klicks und Aufmerksamkeit bringen. Technikkonzerne profitieren davon genauso wie auch der Schreiber selbst – und auch manche Newsportale sowie Politiker sind sich dieser „verbalen Spirale“ bewusst. Das Problem dabei ist, wir verlassen uns, so Wampfler, bei der Informationsgewinnung zunehmend lieber auf unser Bauchgefühl als auf Expertisen („Wahr ist, was sich wahr anfühlt.“), gerade dann, wenn die Fakten unsere eigene Handlungsweise (Verhalten wir uns so, dass wir aktiv etwas gegen den Klimawandel tun?) in Frage stellen. Ein weiterer Grund, warum wir Nonsens so oft auf dem Leim gehen, liegt dann auch an der eigenen Online-Eitelkeit oder an der Tatsache, dass es mittlerweile Untersuchungen zu einer sog. „Digitalen Konzentration“ gibt. Menschen verarbeiten mehrere Reize routiniert, aber oberflächlich und es wird weniger tiefgründig darüber nachgedacht. Eine Tatsache, die es prinzipiell auch beim digitalen Unterrichten zu beachten gilt und dem Nonsens natürlich ebenso Tür und Tor öffnet.
Bis zu diesem Zeitpunkt kann man dem Buch wenig vorwerfen. Letztlich sollte man aber auch berücksichtigen, dass der Leser schon ein wenig Vorwissen haben muss, um allen Begriffen und Konzepten folgen zu können. Aber Wampfler hat dies wohl absichtlich derart gestaltet um seinen „Schwimmkurs“, damit Kommunikation im Netz gelingen kann, im 2. Teil des Buches ab Seite 91 etwas populärwissenschaftlicher formulieren zu können. Diese Tipps sind dann auch recht hilfreich (Fragen stellen, Empathie zeigen, sein eigenes PLN aufbauen, weniger Push-Mail – mehr Slow News, Filtersouveränität beweisen), haben bewussten Sammel- bzw. Aufzählungscharakter und bieten auch praktische Beispiele, wie man diese Vorschläge in die Tat umsetzen kann. Hier ist Wampfler trotz seiner sicher eigenen Bedenken etwas toolifiziert unterwegs, was aber der Sache keinen Abbruch tut, wenn man den „Schwimmkurs“ auch als eine Art Ratgeber liest. Nach einem kritischen Exkurs zur Rolle der Medien und der Ideenentwicklung eines Trust Centers, an das sich Journalisten und Publikum wenden können, wenn sie Nonsens wittern, kommt dann Wampfler noch auf die Rolle der Schule zu sprechen.
„Lernen mit 4K“ – unter diesem Kapitel subsumiert Wampfler vieles, was ihm, ganz zurecht spricht hier der besorgte Pädagoge, am derzeitigen Schulsystem stinkt. Die Digitalisierung bedroht das System Schule als Ganzes, da sie nicht mehr der einzige Ort der Wissensvermittlung ist. Prüfungen werden dennoch nur auf Gelerntem basierend konzipiert, eine wirkliche Kompetenz und Eigenleistung ist das nicht. Anhand der Bildungsvision der OECD 2030 stellt Wampfler gerade auch in den „Nonsens-Kontext“ die Ideen der 4K in den Vordergrund. Allerdings bleiben die Beispiele doch eher allgemein gehalten. Das Beispiel Projektarbeit „Ramen-Nudeln“ (Aufgabe: Lernende sollen Ideen entwickeln, wie diese besser schmecken oder gesünder werden) benötigt zwar die 4K in Reinkultur, ist aber im traditionellen Unterrichten momentan nur schwer durchführbar. Es wäre wünschenswert, wenn hier auch realistischere Beispiele für eine normale Unterrichtssequenz oder -stunde genannt worden wären. Letztlich sind die 4K ja ein Schlüssel zum Bekämpfen des vorliegenden Problems. Es ist daher doch unabdingbar auch unter den gegebenen schulischen Bedingungen damit zu starten und nicht auf die alljährliche Projektwoche zu warten.
Letztlich schließt das Buch damit, dass es eben heutzutage nicht mehr so leicht möglich ist, Nonsens im Netz zu erkennen. Es bedarf daher einer Thematisierung und der Anstrengung aller Beteiligten, um das Phänomen immer wieder aktiv in den Fokus zu rücken, denn eine digitale Askese, z. B. im Spitzerschen Duktus, ist weder hilfreich noch in der heutigen Zeit möglich.
Fazit: Wampfler kann flüssig, gehaltvoll und gut belegt schreiben, ohne als digitaler Oberlehrer rüberzukommen. Eine Grundahnung beim Leser vorausgesetzt, kann das Buch, das 29 € kostet und im Stämpfli Verlag erschienen ist, einen wertvollen Beitrag zur Debatte „Nonsens im Netz“ leisten, Denkprozesse anstoßen und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass man, gerade auch als Lehrkraft etwas dagegen tun kann, wenn man die Hintergründe kennt. Ich würde mir allerdings wünschen, dass die schulischen Aspekte noch ausführlicher in konkrete 4K-Unterrichtsideen umgesetzt werden würden, wenn auch klar sein muss, dass das Buch nicht explizit für Lehrer verfasst wurde. Im Rahmen einer DiBiS-Sitzung werde ich das Thema anhand des Buches wieder aufgreifen.
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