„Allen Männern und Frauen aller Länder gewidmet, die sich nicht vor sich selbst fürchten und die genügend Zutrauen zu ihrer eigenen Seele haben, mit der Kraft ihrer eigenen Persönlichkeit aufzustehen und das Wagnis einzugehen, sich den Gezeitenströmen der Welt auszusetzen.“ (Eliza Gilbert aka Lola Montez, The Arts of Beauty, 1858)
Émile Camuset ist längst vergessen, dennoch wäre er sicher sehr erfreut, dass seine Erfindung – die Jogginghose – aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, derzeit einem – neudeutsch formuliert – gesellschaftlichen Upgrade erfreut. Vorbei sind die Zeiten eines Karl Lagerfelds, der das Tragen einer Jogginghose mit Kontrollverlust des Trägers gleichsetzte (was ihn allerdings nicht daran hinderte, später selbst Jogginghosen für Chanel zu entwerfen). Die Pandemie macht das möglich. Der bequeme Beinschmuck ist zu einer Art Arbeitskleidung für Lehrkräfte geworden. Sicher eine schreckliche Vorstellung für eine Schulleiterin in Bad Oeynhausen, die noch 2019 zu einem Jogginghosenverbot an ihrer Realschule aufrief. Begründung: „Wir bereiten die Schüler aufs Berufsleben vor“, und da sei der „Couch-Potato-Look“ nicht angemessen. Was für ein Trugschluss aus heutiger Home-Office-Sicht. Margarete Stokowski ist es zu verdanken, dass die positiven Aspekte der Jogginghose danach in der Öffentlichkeit wieder ins richtige Licht gerückt wurden. Ihr „Lob der Jogginghose“ war schon aus damaliger Sicht korrekt und eine geistreiche Replik auf den willkürlich verordneten Mode-Knigge. Was beide – Schulleiterin und Autorin – nicht wissen konnten; in der Jogginghose selbst sind – bei genauerer Betrachtung wie in einem geheimen Code – genau diejenigen Tipps quasi buchstäblich versteckt, auf die es nun im Januar (wieder) ankommen wird. Die Buchstabenfolge der Jogginghose bietet nämlich einen praktisch anwendbaren Orientierungsrahmen für Lehrkräfte in Zeiten der Pandemie. Womöglich sogar das oft angefragte Konzept, das ja angeblich immer noch fehle, wenn man weiten Teilen des Bildungsjournalismus im deutschsprachigen Raum Glauben schenken will. Das ist sicher auch nicht ganz falsch. Für die einzelne Lehrkraft bietet die Jogginghose allerdings genügend Potenzial, um gut durch die nächsten Monaten zu kommen. Was davon seinen offiziellen Weg in Verlautbarungen und Verordnungen finden wird, bleibt abzuwarten. Sehen wir uns daher nun die Tipps einmal genauer an:
J wie „Jonglieren“: Beschäftigen Sie sich mit der Kunst des Jonglierens in der Zeit zwischen den Jahren. Sie werden diese Fähigkeit sicher wieder brauchen. Das Jonglieren zwischen Plattformen, Videocalls und Kommunikationskanälen ist sicher auch im nächsten Jahr eine der großen Herausforderungen an jede Lehrkraft. Wichtig beim Jonglieren ist ja immer eine spezielle Grundhaltung. Dieses Postulat sollten Sie zweifach verstehen. Zum einen gilt es eine ergonomische Sitzposition an seinem Arbeitsplatz zu finden (die Jogginghose ist dabei ja kein Hindernis) und zum anderen sollten Sie offen sein, tradierte Haltungen zu überdenken und diese auf die jetzige Lage hin modifizieren.
O wie „Onlinezeit“: Definieren Sie Ihre Onlinezeit gegenüber der Schulleitung, den Kolleg*innen, den Eltern und den Schüler*innen und halten Sie diese strikt ein. Dies dient der Transparenz, aber auch der eigenen Entlastung. Gerade im Fernunterricht ist dieser Faktor nicht zu unterschätzen. Ohne Achtsamkeit werden Sie nur schwer durch die nächsten Wochen kommen.
G wie „Gesamtprozess“: Steigen Sie mit Ihren Klassen in die Produktorientierung ein und trauen Sie sich zu, den Gesamtprozess des Lernens zu bewerten bzw. zu begleiten (je nach Ihren Vorgaben). Eine bessere Vorbereitung auf den Beruf kann es für Ihre Klassen nicht geben.
G wie „Gelassenheit“: Beharren Sie nicht auf alten Testformen, lassen Sie sich auf Projektarbeit ein und jammern Sie nicht darüber, dass ein ganz wichtiges Stoffgebiet wieder nicht in Präsenz durchgenommen wurde. Erinnern Sie sich daran, dass Sie früher mit Ihren Klassen auch nicht stets 1,0-Schnitte abgeliefert haben. Fokussieren Sie sich darauf, was die Schüler*innen vielleicht Neues (wahrscheinlich sogar noch Wichtigeres) in der jetzigen Phase lernen können.
I wie „Interesse“: Wecken Sie bei sich selbst Ihr Interesse für Fortbildungen und neuen Lernmethoden. Zeigen Sie Ihr Interesse den Eltern gegenüber durch regelmäßige, auch ungefragte, Kontaktaufnahmen. Weisen Sie Ihre Klassen auf aktuelle Themen und Entwicklungen hin, was deren jeweiliges Interesse finden könnte. Machen Sie Angebote, die nicht nach Schule „riechen“, z. B. mit dem Verweis auf ein Internetangebot.
N wie „Nutzen“: Reiben Sie sich nicht in Diskussionen auf, die nur Zeit kosten, aber nichts bewegen. Hinterfragen Sie den Nutzen jeglicher Kommunikation und lesen Sie momentan nur das, was Ihnen hilft, Sie anregt oder Sie unterhält.
G wie „Grenzen“: Entwickeln Sie, wenn Sie noch Ressourcen zur Verfügung haben, selbst Ideen und Initiativen, die Grenzen verschieben oder aufbrechen können. Fokussieren Sie sich auf Ihren jeweiligen Aufgabenbereich und setzen Sie dort etwas um, was anderen zu Gute kommt.
H wie „Hierarchien“: Lesen Sie die Regeln, die für Sie vor Ort gelten jeweils einmal gründlich durch und legen Sie sie mit dem gesunden Menschenverstand aus. Starten Sie keine Hierarchie-Diskussionen – gerade auch in den sozialen Netzwerken – um Ressourcen zu verschleudern. Schreiben Sie keinen Blogartikel, in dem Sie zum drölfzigsten Mal sich über irgendetwas beschweren oder eine (Betriebs-)systemdebatte führen. Posten Sie lieber konkrete Unterrichtsideen, öffnen Sie Ihr virtuelles Klassenzimmer und arbeiten Sie mit anderen zusammen.
O wie „Organisation“: Hinterfragen Sie Ihr Ablagesystem, Ihre Arbeitsstrategien, Ihre digitale und analoge Schultasche. Gibt es vielleicht die Möglichkeit, hier jetzt Optimierungen zu erzielen, die Sie auch langfristig weiterbringen? Reflektieren Sie darüber, wie Sie mit den bei Ihnen verwendeten Kommunikationswegen in Zukunft umgehen wollen.
S wie „Spontaneität“: Erweitern Sie Ihr Wissen über Hybrid- und/oder Wechselunterricht, um spontaner auf neue Herausforderungen reagieren zu können. Spontaneität wird sicher in den nächsten Monaten ihr ständiger Begleiter bleiben. Um zur o.g. „Gelassenheit“ zu kommen, sollten Sie daher hier proaktiv agieren und die Zeit – vielleicht auch gerade jetzt um den Jahreswechsel herum – nutzen.
E wie „Erfolg“: Definieren Sie Erfolg völlig neu und weiten Sie den Begriff auf verschiedenste Bereiche aus. Machen Sie den Eltern und Ihren Schüler*innen deutlich, was Sie gemeinsam geschafft haben und stellen Sie klar, dass es nur wenig pädagogische Blaupausen für eine Pandemie-Lage gibt.
Wie immer ergeht an dieser Stelle nun die Einladung an alle Leser*innen, sich mit mir über den hier vorgestellten Orientierungsrahmen auszutauschen. Gerne auf Twitter unter den bekannten Hashtags oder auch via Mail an woe@real-euro.de. Und wenn in der nächsten Präsenzphase in Ihrer Klasse Jogginghosen getragen werden, seien Sie bitte gnädig und akzeptieren Sie es einfach;)