Wenn mittlerweile „Offline statt Online“ der Fehlzustand ist, dann stellt sich natürlich die Frage, was dies mit dem Menschen, dem Menschenbild sowie den Werten im digitalen Zeitalter macht. Diesen Aspekten ging vom 13. – 14.09. eine hochkarätig besetzte Tagung an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing nach, die unter o.g. Titel Interessierte aus zahlreichen verschiedenen Disziplinen an den Starnberger See lockte.
Schon in der Begrüßungsrunde formulierte Frau Prof. Dr. Ursula Münch (APB Tutzing) klar aus, dass Digitale Bildung besser in die Lehramtsausbildung integriert werden sollte, und zwar in jegliche Fachbereiche. Auch dass man in Bayern das Fach Informatik nicht gemeinsam mit einer Geisteswissenschaft studieren kann, wurde kritisch angemerkt, zeigt aber auch, wie der Bildungsföderalismus unterschiedlichste Modelle offeriert. Zudem wurden einige Leitfragen von Alexander von Gemler (Gesellschaft für Informatik) und Patricia Scheiber (Initiative D21) formuliert, die im Laufe der beiden Tage immer wieder aufgegriffen wurden:
- Wie berechenbar sind Menschen, wenn sie mittlerweile schon im Pokern von Computern geschlagen werden können?
- Können Roboter emotionalisieren? Und was bedeutet das im Umgang mit diesen?
- Müssen wir das Verständnis von Humanität hinterfragen?
- Worin liegen die Grenzen der Digitalisierung? Wann hört Schutz auf, wann fängt Bevormundung an?
Im ersten Vortrag entwickelte Prof. Dr. Dr. Wallacher (Hochschule für Philosophie München) eine geistesgeschichtliche Einordnung des Verhältnisses von Mensch und Maschine. So hinterfragte schon Aristoteles die Sklavenarbeit und philosophierte über den Einsatz von Maschinen. Das dialektische Verhältnis von Herr und Knecht kann nach Hegel durchaus dazu führen, dass sich die Verhältnisse umdrehen. Wenn der Knecht (im heutigen Fall die Maschinen) viele Tätigkeiten abnehmen, kann dann der Herr überhaupt noch seine Rolle beibehalten, wenn er die wichtigsten Dinge verlernt hat (hier denke nicht zuletzt ich an die Rolle des Auto-Navis, dem ich mittlerweile (zu naiv?) vertraue)? Zudem wurde auf Adam Smith verwiesen, der in seinen Schriften eine gelingende Welt durch Arbeitsteilung erfüllt sah. Die Mechanisierung des 18. Jahrhunderts sah er als Fortschritt an, der mit den „soft skills“ Fairness, Tausch, Kommunikation und Interaktion (der Leser erinnert sich an die 4K) zu einer aus seiner Sicht gelingenden Koexistenz von Mensch und Maschine führt. Prof. Wallacher sieht in der Digitalisierung durchaus eine disruptive Innovation, die aber das „Menschsein“ elementar wichtig werden lässt. Neben einer allzu euphorischen digitalen Machbarkeitshybris bekommt der Mensch mittlerweile zunehmend ein schlechtes Gewissen (was er anrichtet / anrichten kann) und Selbstzweifel, inwieweit er der Technik „unterlegen“ ist – also ein Mangelwesen bzw. Objekt wird. Hierin liegt eine der derzeitigen Gefahren, denn Maschinen können nicht per se handeln, da ihnen ein Bewusstsein bzw. auch Intelligenz (viele Begriffe, wie KI oder „autonomes Fahren“ sind laut Prof. Wallacher unscharf) fehlt. Trotzdem sei „Bildung zur digitalen Mündigkeit“ absolut nötig, um die Nutzungs- bzw. Gestaltungshoheit zu behalten. Deren Inhalte wären eine genauere Begriffsdefinition vieler „Digitalphänomene“, eine Bewusstwerdung der Subjektivierung des Menschen und ein gesetzter ethischer Ordnungsrahmen.
Sehr anschaulich und für meinen Geschmack eines der Highlights der Tagung war der Auftritt von Prof. Dr. Alin Abu-Schäffer (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Oberpfaffenhofen), der über den Stand der heutigen Robotik referierte. Roboter können, das war mir so auch nicht bewusst, neben einem Beitrag zur industriellen Wettbewerbsfähigkeit, auch in Gesundheit und Pflege – gerade in Zeiten des demographischen Wandels einen wichtigen Beitrag zur Sicherung unseres Wohlstands leisten. Im Weltraum gehen diese dann den Fragen nach dem Leben und der Intelligenz nach, indem sie das Sonnensystem erkunden und die Weltrauminfrastruktur in Gang halten. Erstaunliches ist hier bereits jetzt möglich: „Roboter-Avatare“ können überall auf der Erde oder sogar im Weltraum gesteuert werden, Operationen wie im letzten (eher missglückten) Tatort millimetergenau vollzogen werden, bewegungseingeschränkten Personen kann zum Beispiel das Trinken oder das Zudecken ermöglicht werden. Abu-Schäffer räumte en passent auch mit einigen Vorurteilen auf. So werden aufgrund des demographischen Wandels in den nächsten Jahren so viele Personen in Rente gehen, dass die Digitalisierung diesen sicher nicht die Arbeitsplätze in diesem Tempo so schnell wegnehmen kann. Eher entstehen neue Berufe wie ein „Pflegetechniker“, der die dazugehörigen medizinischen Roboter wartet und einsatzbereit macht. Die Akzeptanz dieser Helfer sei recht hoch, „wenn der Patient das Gefühl hat, dass der Roboter seinem Willen gehorcht“. Auf jeden Fall sei Europa in Sachen Robotik nicht, wie oft behauptet, abgehängt, denn sowohl bei der Zuverlässigkeit als auch bei der Idee KI und Mechanik / Bionik miteinander zu fusionieren sei man an einer Schwelle diese Ziele zu erreichen. Nach dem Grundsatz „understanding by recreating“ könne man mittlerweile auch selbst eigene Thesen aufstellen, wie biologische Abläufe sich vollziehen. Mit einer gewagten Prognose endete Abu-Schäffer: „Wahrscheinlich wird es in 200 Jahren nicht die Roboter und uns geben, sondern irgendwas dazwischen.““
Im abendlichen Akademiegespräch am See präsentierte daran anschließend Prof. Dr. Ina Ebert (Munich RE) die Sicht der Versicherer aufs autonome Fahren. Zunächst ist wichtig zu sagen, dass sich die Technik momentan auf dem sog. Level 3 befindet (Fahrer kann Kontrolle ganz abgeben, muss aber übernahmebereit bleiben). Dies ist bei den derzeitigen Straßenverhältnissen, einem sog. Mischverkehr, auch das Maximum des Möglichen. Interessanterweise ist seit 2014 das autonome Fahren auch rechtlich abgedeckt, da das „Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr von 1968“ im entscheidenden Artikel 8 „Führer“ eine Level 3 gemäße Ergänzung erhielt. Auch die StVG wurde 2017 (eine Überprüfung dessen soll 2020 erfolgen) um diese Entwicklungsschritte hin ergänzt, die Haftungssumme bei autonomem Fahren z. B. auf 10 Mio € angehoben. Die Ethik-Kommission sah 2017 den Schutz des Menschen als oberstes Gut an, es solle kein Zwang zum Nutzen automatisierter Systeme geben, auch wenn diese sicherer sein sollten. Bei Dilemmasituationen solle das Prinzip der Unfallvermeidung gelten und keine Opferaufrechnung stattfinden (vgl. Denkspiel „Moral Machine). Auch die Datenerhebung solle sparsam erfolgen, eine Blackbox in die Fahrzeuge integriert sein. Sehr anschaulich wurde dann erklärt, dass die Regelungen in den Länder Deutschland, GB und USA völlig unterschiedlich sind und neue Haftungsfragen auf die Versicherer zukommen. Es steht die Frage im Raum, dass ggf. die Produkthaftung die Autohaftpflicht „überholen“ könnte, da weniger Unfälle durch menschliches Versagen zu erwarten sind. Wie sieht aber die Sache aus, wenn Malware oder Hacking ins Spiel kommen? Haftet der Software- oder der Autohersteller? Wie sind Updates versicherungsrechtlich einzuordnen? Ändert sich der Deckungsbedarf der Versicherten? Letztlich ist immer die Akzeptanz durch den Menschen ausschlaggebend dafür, wie sich dieses Thema weiterentwickelt. Die anschließende Diskussion zeigte ganz klar, dass das Level 3 noch zu unattraktiv für die Fahrer ist und dass das heutige Autofahren in den USA schon jetzt deshalb recht riskant ist, da hier oft nur Deckungssummen von 20 000 US-Dollar abgesichert sind.
Vor allem die Risiken betonte Prof. Dr. Christina B. Class (Ernst-Abbe-Hochschule Jena) in ihrem Vortrag zu den Themen Gesichtsscreening, Verhaltensprognose und Social Screening. Neu war zunächst für mich, dass dieses Phänomen keine Erfindung der Digitalisierung ist. Schon 1927 wurde mit der Schufa begonnen, die Verkaufsdaten von Personen zu analysieren. Dass durch „Textmining/Sentimentanalyse“ mittlerweile auch die Spracherkennung zur Datenerhebung genutzt wird, wurde mehrfach betont. Auch die verschiedenen Einsatzszenarien von Social Screening bei „(politischen) Einstellungen, Überwachen von Angestellten und Visa-/Reiseerlaubnissen“ führte zu einem recht negativen Duktus des Vortrags, der zwar die richtigen Fragen stellte (Wie bewahren wir uns unsere Autonomie?), aber stets den „Worst Case“ unterstrich. Leider wurde auch in der Diskussion nicht nach positiven Einsatzmöglichkeiten gefragt, so dass hier ein aus meiner Sicht etwas unfertiges Bild überblieb. Im Umgang im Unterricht sollte man daher aus meiner Sicht dieses Thema immer unter dem Aspekt der Datenautonomie behandeln. Schüler sollten mündig mit ihren Daten umgehen, vor allem auch deshalb, da heutige Handlungen auch erst in 20 Jahren für sie relevant sein könnten.
Dr. Karl Teille (Volkswagen AutoUni) forschte dann nach der Rolle des Menschen, „wenn Systeme anfangen zu denken“. Nachdem zum Einstieg auf die Einzigartigkeit des homo sapiens, z. B. durch seine soziokulturellen Fähigkeiten, hingewiesen wurde, wurden die Grenzen unserer Welt im historischen Abriss von Hubble bis Gore definiert. Die Digitale Revolution verbreitet immer vielschichtigere Softwaresysteme (ein PKW der Premiumklasse hat bis zu 100-mal komplexere Softwaresysteme als ein Kampfjet) und bietet eine Reihe von Chancen, die Dr. Teille nicht zuletzt immer mit dem Bezug zur Verlangsammlung des Klimawandels in Verbindung brachte. Hierbei interessant: Letztlich verbraucht z. B. ein Gehirn deutlich weniger Energie als ein heutiger Supercomputer, was auch an seinem Entwicklungsvorsprung von ca. 2 Mio Jahren liegt. Immer noch kann der Mensch schnellere Transferleistungen und Kontextwechsel vollziehen, ist der Maschine also auch in kognitiven Bereichen teilweise noch deutlich überlegen. Daher wird es auch nicht zur Utopie Raymond Kurzweils kommen, der die KI ab 2045 die menschliche Intelligenz überholen sieht. Ethisches Verhalten und die Nutzung der digitalen Möglichkeiten sollten Hand in Hand gehen, damit Unternehmen und Kunden davon profitieren können und der Mensch Subjekt bleiben kann.
Zum Abschluss der Tagung wurden dann in drei Kurzimpulsen von Prof. Dr. Stefan Selke (Hochschule Furtwangen), Anja Schaar-Goldapp (Softwareunternehmerin) und Hannes-Vincent Krause (Weizenbaum-Institut Berlin) Diskussionsforen zu den Themen „Lifelogging und Self-Tracking“, „Wirtschaftsfaktor Ethik“ und „Wandel der Liebe durch Online-Dating“ eröffnet. Hier lassen sich folgende Ergebnisse festhalten:
- Lifelogging als Vermessung des Seins ist eine Art Blackbox für Menschen
- Der Mensch kann zum „indizierten Menschen“ werden, was den Lebensumfang reduziert und ihn zur Zahl werden lassen kann
- Viele Tracking-Tools sind keine Werkzeuge, sondern smarte Objekt mit (zu?) korrelativer Macht
- Lifelogging erzeugt neuartige Digitale Vulnerabilitäten
- Die Irrationalität des Menschen sollte gefördert werden, dies macht ihn aus (Das Erzählen muss auch weiterhin seine Berechtigung haben; trotz teilweise lückenloser, digitaler Aufzeichnung des Lebens)
- KI sollte nicht über Arbeitsplätze und -chancen bestimmen
- Die Verfügbarkeit von möglichen Online-Partnern kann überfordern
- Das textbasierte Flirten erhöht die Erfolgschancen und kann ein genaueres Bild des Charakters erzeugen
- Die Profile auf Online-Partnerbörsen sind dennoch recht plakativ und oberflächlich, gerade auch bei genutzten Algorithmen bei Partnervorschlägen (meist über Bildvorschläge)
Insgesamt kann ich nur dazu ermuntern, derartige Veranstaltungen außerhalb der Lehrer-Bubble zu besuchen. Wie „das Ganze“ zusammenhängt und wie der Stand wirklich ist, erfährt man nun doch am besten immer noch von den Experten selbst. Wenn dies dann noch im stimmungsvollen Ambiente des Starnberger Sees geschieht, mag das zudem dem einzelnen „humanum“ nicht abträglich sein.