1. Schüler vor dem Abgrund: Malerei des 19. Jahrhunderts
Wer Bilder macht, erschließt sich die Welt. Smartphone und Tablet als Medien der Bildproduktion und -rezeption spielen in der Freizeit der Schüler eine wichtige Rolle. Um diesen Bildersturm bewältigen zu können, benötigen Jugendliche vermehrt Medien- und Bildkompetenz. Für die Wahrnehmungsschulung im Zeitalter neuer Medien ist neben der Analyse auch die Produktion digitaler ästethischer Produkte von zentraler Bedeutung. Im Kompetenzmodell “Visual Literacy” ist folglich neben dem Rezipieren von Bildern und das Reflektieren darüber auch das Produzierenvon Bildern zentral (Wagner, Schönau 2016).
Video ist aus Alltag, Kunst, Kultur und Unterhaltung nicht mehr wegzudenken. Videoinstallationen, Videokunst, Mediatheken, Second Screen, Netflix, Trickfilme, Vlogs, Webcams, YouTube, Vimeo… – das bewegte Bild ist das Leitmedium der heutigen Schülergeneration. Gerade im Bereich Video und Visual Literacy bedeutet Medienkompetenztraining nicht nur Konsum und Analyse von Bildern, sondern muss auch handlungs- und produktorientert sein. Digitale Medien bieten hier vielfältige Möglichkeiten.
In der Praxis zeigen viele Kunstdidaktiker Berührungsängste mit dem Digitalen. Der Kunstraum als analoges Biotop – aufgrund der Schwierigkeit, mit den schnellen Entwicklungen Schritt zu halten oder aus bewahrpädagogischer Abwehrhaltung? Aber auch das Fach Kunst ist gefragt “Medienprodukte unter Berücksichtigung formaler und ästhetischer Gestaltungskriterien und Wirkungsabsichten (zu) erstellen” (ISB 2018).
Selbstverständlich sollen iPad und Co nicht gänzlich Bleistift und Pinsel ersetzten. Das händische Arbeiten bleibt zentraler Bestandteil jeglicher künstlerisch-pädagogischen Arbeit. Ziel ist es, neben traditionellen, haptische Techniken und Methoden innovative digitalen Möglichkeiten in den Kunstraum zu integrieren. Dies soll anhand dem Bereich “Malerei des 19. Jahrhunderts” und Werken wie “Der Wanderer im Nebelmeer “ oder “Der Schrei” demonstriert werden.
2. Medien- und Kunstdidaktische Fundierung
2.1 Kunstgeschichte handlungsorientiert und mediengestützt vermitteln
Bei „Romantik“ denken Schüler eher an Händchenhalten als an das Elbsandsteingebirge. Auch den „Schrei“ verbinden die meisten eher mit Vertretungsstunden als mit Munch: Im Kunstunterricht ist Kunstgeschichte nicht immer bei allen beliebt. Ähnlich wie im Fach Geschichte fehlt der persönliche Bezug zur Vergangenheit. Nachhaltiger Lernerfolg ist jedoch wahrscheinlicher, wenn die Schüler einen persönlichen Bezug zum Stoff herstellen können. Nach der theoretischen Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte sollen die jungen Künstler daher sich ins Gemälde hineinversetzten: Wie steht mir der Wahnsinn? Wie fühlt es sich wohl an, vor dem Abgrund stehen?
2.2 Schüler vor dem Abgrund: Stopmotion und Greenscreen
Um auf diese wichtige Fragen eine Antwort zu finden, gestalten die Schüler ein Gemälde aus dem Kanon der Malerei des 19. Jahrhundert klassisch mit Pinsel und Farbe nach. Die Hauptfigur wurde dabei „vergessen“. Kein Wanderer im Gemälde „Wander über dem Nebelmeer“, niemand schreit im „Schrei“, keine Tänzerin bei Degas. Danach dreht der artistische Nachwuchs passende Videos, um die Leerstelle zu füllen. Eine Gruppe animiert durch viele Einzelbilder Figuren. Dabei wird tief in die Trickkiste gegriffen: Einer Barbiepuppe wurden die Haare gekürzt und im Kopierraum mit iMotion Leben eingehaucht. Eine andere Gruppe schauspielert selbst vor dem Greenscreen. Aus dem Gehstock wird ein Bambusstab und schon wandert der Nachwuchskünstler vor dem Abgrund. Die Augen verdreht und der „Schrei” von Munch wird von den Schülern videographisch dargestellt. Die Aufnahmen fügten die Schüler danach in Fotos ihrer Kunstwerke ein. Auf diese Weise sind die jungen Künstler selbst im Bild. Die Gemälde werden für den Schüler persönlich erlebbar und für sie persönlich bedeutsam. Pinsel und Pixel ergänzen sich; App und Tablet ermöglichen einen persönlichen Zugang zur Kunstgeschichte.
Die entstandenen Arbeiten können entweder digital oder analog veröffentlicht werden. Die Möglichkeiten reichen dabei von der klassischen Aussstellung, über die Bildergalerie auf der Schulhomepage bis zur Veröffentlichung auf Videoportalen. Das Fach Kunst kann so einen Beitrag leisten, das Schulprofil auch im digitalen Bereich zu stärken.
Georg Fässler, RS am Europakanal Erlangen II / FAU Erlangen-Nürnberg