Der Lehrer ist ein sonderbares Geschöpf: Obwohl jeder (hoffentlich!) das gleiche übergeordnete Ziel, nämlich eine möglichst gute Bildung der Kinder verfolgt, agiert er doch meist als Einzelkämpfer, der gerade im Kontext der Digitalisierung zu oft das Rad neu erfinden muss, obwohl einige Meter weiter der Kollege bereits flugtechnisch unterwegs ist. Fakt ist: Die Devise des altrömsichen Komödiendichters Titus Maccius Plautus -“Homo homini lupus” – ist nicht selten in Lehrerzimmern sehr anschaulich real existierend anzutreffen.

Der Autor dieser Zeilen ist weder willens noch kompetent genug, eine anthropologisch eingängige und umfassende Analyse dieses Phänomens zu liefern. Es sollen aber drei Fragen aufgeworfen werden, die gerade in diesem Themenbereich möglicherweise eine Antwort erfordern – zumindest sieht es der Autor so, so dass er sich daran versucht.

  1. Diskussions- oder Streitkultur: Welchen Umgang will man pflegen?

Wie bereits einleitend erwähnt, erlebt man immer wieder Situationen, in denen man auf kontroverse Standpunkte trifft. Solche sind nicht nur fester und wünschenswerter Bestandteil einer jeden Diskussion, sondern wirken der Redewendung “Wo alle das Gleiche denken, wird wenig gedacht!” glücklicherweise entgegen. Die Frage aber nach dem Wie stellt sich mir im Laufe der Zeit immer häufiger: Eine Diskussion unter Kollegen hat nach meinem Dafürhalten auf Augenhöhe, Sachebene und mit Respekt zu erfolgen. Das ist für mich eine Grundvoraussetzung. Darüber hinaus wünsche ich mir eine Kritik, die immer konstruktiv zu Werke geht und stets Lösungen für ein diagnostiziertes Problem anbietet, denn nicht weniger dürfen Schülerinnen und Schüler von uns Lehrern verlangen. Alleinige Falsifizierung ist zwar besser, als eine falsche Entwicklung stehen zu lassen, aber meiner Meinung nach nur das geringere Übel.

 

  1. Weiß ich, welche Verantwortung ich mit meiner veröffentlichten Meinung habe?

Diese Frage schließt nicht nur chronologisch an die vorangegangene an: In der publizierten Diskussion muss ich mir bewusst sein, welche Wirkung mein “Posting” möglicherweise erreicht. Dass diese Forderung keinesfalls einfach umzusetzen ist und eine beträchtliche Komplexität aufweisen kann, ist dem Autor dieser Zeilen – nicht zuletzt aufgrund diverser selbst begangener Fehler – nur zu klar. Umso wichtiger ist es aber, auf den Absolutheitsanspruch zu verzichten und zu bedenken, dass ein Kollege, der etwas Neues probiert, bereits den ersten Schritt zu einem besseren Unterricht getan hat. Ein Zitat bringt es besser auf den Punkt, als ich es je formulieren könnte:

“Wenn man etwas probiert, hat man nicht garantiert Erfolg. Aber man hat garantiert keinen Erfolg, wenn man nichts probiert.” (http://markusreimer.com/zitate/)

 

  1. Wissenschaftliche Erkenntnis vs. Praxiserfahrung: Können wir uns hier einen Dualismus leisten?

Behaviorismus vs. Konstruktivismus, Digitale Bildung vs. Zeitgemäße Bildung, Digitale Demenz vs. Digitale Dividende … man könnte die Liste an Diskussionsschwerpunkten noch weiter fortsetzen. Doch sie zeigt mitunter eine Diskrepanz zwischen der Unterrichtspraxis und dem wissenschaftlichen Diskurs, die meiner Meinung nach gefährlich ist und so nicht existieren sollte. Denn universitäre Bildung und Schule, Didaktik und Unterrichtspraxis sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Sie sind aufeinander angewiesen und verlieren sich ohne den jeweiligen Partner in pädagogischer Beliebigkeit. Diese gefährliche Entwicklung sehe ich, wenn es z. B. in der Diskussion um formative Tests oder den Flipped Classroom geht: Es gibt viele Argumente, die „Kahoot“ als banales Tool ohne „4K-Dimension” erscheinen lassen. Das an sich stellt für mich kein Problem dar – im Gegenteil: Es erweitert meine Perspektive und lässt mich über Methoden und Praxis nachdenken. Es wird für mich zum Problem, wenn man mir einreden will, dass die Pro-Argumente zu vernachlässigen sind und das Tool im Unterricht „nichts bringt”, denn die Erfahrung zeigt mir schlicht etwas völlig Anderes. Kein Mensch würde allerdings aufgrund dieser sehr positiven Erfahrungen auf die Idee kommen, seinen ganzen Unterricht mittels „Kahoot“ abzubilden. Es ist eben ein mitunter sehr hilfreiches Tool unter vielen – aber mitnichten das einzige, das alle Probleme löst. Das aber hat auch niemand behauptet. Fast identisch verhält es sich mit der Auseinandersetzung mit dem Flipped Classroom (kurz: FC). Ich kenne niemanden, der sich wünschen würde, alle Schüler müssten jetzt nach dem FC-Prinzip unterrichtet werden. Aber der FC hat zweifellos seine Vorteile, die ein versierter Pädagoge mit dem Anspruch, Unterricht auf der Höhe des 21. Jahrhunderts anbieten zu wollen, kennen muss. Dazu kommt, dass man sich der Wirklichkeit – gerade als Pädagoge – nicht verschließen darf. Schülerinnen und Schüler lernen nach eigener Aussage unter Umständen besser mit Lernvideos (siehe aktuelle Bertelsmann-Studie). Ob man das gut finden muss, ist eine andere Frage. Aber es ist nunmal Realität. Hilbert Meyer bringt es auf den Punkt, wenn er fordert,

„die Wirklichkeit der Welt (…) muss “domestiziert” werden, aber sie lässt sich nicht künstlich aus dem Schulalltag heraushalten”.

 

Mein Wunsch:

Die Diskussion darf ruhig energisch und temporeich sein, aber man sollte dabei sein Gegenüber und seine Personalität nicht vergessen. Es gibt nur sehr wenige, die in der Position sind, andere Standpunkte komplett zu „neutralisieren”. Und sollte es doch die Möglichkeit geben, gibt es meist geschicktere Lösungen. Oder wie es jemand treffend formuliert hat:

„Es gibt nur sehr wenige, die wissen, wieviel Wissen notwendig ist, um zu wissen, wie wenig man weiß.”

Die Eindrücke der letzten Twitter-Tage stimmen mich aber zuversichtlich, dass diesem Credo nun alle Beteiligten wieder gewillt sind zu folgen – denn nur gemeinsam lässt sich das Thema in didaktisch fundierte, praxisnahe Unterrichtsszenarien gießen.


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