Prolog — der Wunschzettel

Schafkopf mit Smartphone
Die Lösung für die
digitale Transformation?

Was wünscht sich ein Redakteur so zu Weihnachten? Eine schöne Geschichte zwischen den Jahren, genug für eine schöne Meldung, zusätzlich noch einen Kommentar oder ein, zwei Zitate aus Kurzinterviews, alles ohne viel Arbeit. Ach ja, und für polarisierende Reaktionen sollte es auch reichen. Am besten, wirft die leidgeplagte Bayernredaktion ein, nichts aus Südostasien oder schon wieder Nahost, sondern etwas, das die Leute berührt.

Offenbar hatte das Christkind ein Herz für die bayerischen Zeitungen. Dennoch war ich überrascht, als die Pressemitteilung des bayer. Philologenverbands in den still und starr daliegenden See der nachweihnachtlichen Presselandschaft platschte und eine veritable Fontäne in die Höhe jagte. Kartenspielen? Schafkopf also? Echt jetzt? Das ist die Antwort des BPV auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts? Ich begab mich auf die Suche nach der Originalmeldung und erfuhr dann vom Twitteraccount des BPV, dass diese nur an die dpa ging. Nun gut, dann mussten es die diversen Zeitungen und ihre Onlineauftritte richten.

Make Schafkopf Great Again

Der BPV bzw. sein Vorsitzender Michael Schwägerl schreibt in der Mitteilung: „In Zeiten der globalisierten Welt gibt es eine Rückbesinnung auf Heimat und Tradition, dazu zählten auch Spiele wie Schafkopf. Nicht zuletzt ist es in ganz Bayern verbreitet, vereint also Franken, Schwaben und Altbayern in Form eines Spiels und ist somit Abbild der Vielfalt und Einheit Bayerns.“ Grund dafür ist für den BPV, dass „das Spiel in den Familien nicht mehr gespielt und damit nicht mehr gelernt wird“. Zwar gebe es Apps zum Schafkopfen, aber der Reiz des Spiels liege in der Interaktion der Spieler untereinander.

Mit dem Satz mag der BPV Recht haben, aber auch das Tabak schnupfen, Fingerhakeln, Goasslschnalzen und Wildern wird nur noch sehr sporadisch in bayerischen Familien betrieben. Auch die bayerische Gesellschaft und damit die Kultur verändert sich. Das „Panta rhei“ kennen die Altphilologen sicher. Jammern und beschwören hilft da nicht und die beste Methode, etwas schlagartig jeden Reizes in der Schule zu berauben ist es, eine Pflichtveranstaltung daraus zu machen. Wie es so schön heißt, bedeutet Tradition nicht das Bewahren der Asche, sondern das Weitergeben des Feuers. Und das Feuer brennt für Schafkopf, mag man es mögen oder nicht, eben nur noch auf kleiner Flamme.

Was die Interaktion der Spieler untereinander angeht, es gibt auch Bayern außerhalb von Bayern — trotz des Spruches „Extra Bavariam non est vita et si est vita non est ita“. Ich habe Freunde (echte Niederbayern), die jetzt in der Nähe von Austin leben oder in Japan. Will ich denen Schafkopf verbieten, weil sie nicht „interagieren“ können? Was ist mit bayerischen Schülern und Studenten im Ausland? Nur weil sich der BPV Interaktion nur von Angesicht zu Angesicht vorstellen kann, muss das nicht der Fall sein.

Nun hat die Beschäftigung mit dem Kartenspiel im Allgemeinen und Schafkopf im Besonderen ja eine lange Tradition unter den „Bildungsbeauftragten“ Bayerns. Bereits Aventinus beklagte in seiner Beschreibung der Bayern, dass jeder

bei dem wein, schreit, singt, tantzt, kartet, spilt, mag wer tragen, schweinspieß und lange messer

Johannes Turmair‘s genannt AVENTINUS Sämmtliche Werke, Bd. 4/1: Bayerische Chronik, hg. v. Matthias LEXER, München 1882

Unser ehemaliger Kultusminister Spaenle war der bisher letzte, der meinte, ein zünftiger Schafkopf sei

selbstverständlicher Bestandteil der ewigen Seligkeit im weißblauen Paradies

Vorwort Ludwig Spaenles in: Adam MERSCHBACHER, Schafkopf. Das anspruchsvolle Kartenspiel, 2. Aufl. München 2009

Insofern stapft der Bayerische Philologenverband mit seinem Vorsitzenden Schwägerl auf ziemlich ausgetretenen Pfaden, wenn er nun eine vermehrte Beschäftigung mit dem Schafkopfen in Bayerns Gymnasien fordert.

Meine Kritik richtet sich an dieser Stelle auch nicht gegen das Schafkopfen, sondern gegen die Agenda hinter der Meldung und den nicht vorhandenen Nutzen für die Schülerinnen und Schüler. Bereits der erste Satz enthält meiner Meinung nach etwas, das bei Drehbuchschreibern als „plot hole“ bezeichnet wird, einen logischen Fehler:

In Zeiten der globalisierten Welt, so der Verbandsvorsitzende, gebe es eine Rückbesinnung auf Heimat und Tradition, dazu zählten auch Spiele wie Schafkopf.

(Michael Schwägerl, aus der Pressemeldung des BPV)

Abgesehen davon, ob ein „Einigeln im Gestern“, „Furcht vor Fremdem und Neuem“ (nichts anderes ist eine „Rückbesinnung auf Heimat und Tradition“) dafür sorgen wird, dass Bayern für die Zukunft gerüstet bleibt (das allein ist ein eigener Blogpost), sei an dieser Stelle nur kurz auf das Pinguin-Prinzip verwiesen. Nehmen wir an, dass Herr Schwägerl Recht hat, dann ist seine Mitteilung unnötig, denn er schreibt ja „dazu zählten auch Spiele wie Schafkopf“. Also spielen ja jetzt alle wieder Schafkopf, die Schachbretter landen auf dem Sperrmüll, weil Eltern ihrem Nachwuchs wieder erklären, was ein Solo und ein Wenz sind. Wozu dann bitte diese Meldung? Doch wohl, weil es gerade nicht so ist? Was denn nun? Als Filmproduzent würde ich an dieser Stelle den Regisseur bitten, doch erst einmal die Löcher in der Handlung zu stopfen und dann wieder anzurufen …

Aber lesen wir weiter: „Nicht zuletzt ist es in ganz Bayern verbreitet, vereint also Franken, Schwaben und Altbayern in Form eines Spiels und ist somit Abbild der Vielfalt und Einheit Bayerns.

Das taten und tun Bier brauen (und trinken), Wildern, Trachten tragen, und Erzeugnisse bayerischer Automobilproduzenten in den Strassengraben legen auch, verdienen aber deswegen noch lange keine Empfehlung des bayer. Philologenverbands. Was die „Vereinigung“ angeht, waren gerade beim Schafkopf die Regeln in der Vergangenheit so unterschiedlich, dass keinesfalls von einer „Einheit“ gesprochen werden kann. Ein erstes einheitliches Regelwerk (vor dem aktuellen Regelwerk der schafkopfschule.de) kam Ende 1989 (nach dem Fall der Berliner Mauer!) zustande. Auch ist Schafkopf nicht die große Tradition Bayerns, als die es oft dargestellt wird. Obwohl die Ursprünge immer noch im Dunkeln liegen, gibt es doch vor dem Ende des 18 Jahrhunderts keine urkundliche Erwähnung (dazu stammt der Bußgeldkatalog von 1782 aus Sachsen, ohweh) des Spiels und die Anfänge liegen sicherlich nicht in Bayern, sondern außerhalb (s.a. hier). Nehmen wir das „Kleine Schafkopfbüchlein“ des Obsis Verlags in Amberg von 1895 als erste „Dokumentation“ des Spiels, hatte Bayern da bereits ein Dutzend Jahrhunderte Geschichte hinter sich! Da fallen mir auf Anhieb andere Dinge ein, die Altbayern, Franken und Schwaben seit Jahrhunderten verbinden. Und wenn es denn bei den etwas über 200 Jahren bleiben soll, dann wäre die bayerische Verfassung von 1818 etwas, dass meiner Meinung nach vom BPV für die Behandlung im Unterricht empfohlen werden sollte. Die Zeiten wären gerade passend.

Kompetenz statt Karteln

Der BPV hat für seine Mitteilung aber auch bekannte Unterstützer. Professor Klaus Zierer von der Universität Augsburg äußerst sich laut Presse in der Mitteilung wie folgt:
„Der Bildungsgehalt des Schafkopfs ist nicht hoch genug einzuschätzen“, erklärte er in der Mitteilung des Philologenverbandes. Schüler könnten mit dem Kartenspiel unter anderem mathematische, soziale und strategische Kompetenzen erlernen.

Schafft man es über den ersten „Ah, die mia san mia Fraktion hat wieder gesprochen“-Reflex, dann lassen sich in der akademischen Begleitung der Meldung einige gute Argumente erkennen: das Erlernen von mathematischen, sozialen und strategischen Kompetenzen. Da kann ja niemand etwas dagegen haben…

Gegen diese Kompetenzen nicht, die Vermittlung dieser Kompetenzen mit Schafkopfen erscheint mir dann aber doch „suboptimal“. Natürlich erfordert Schafkopf soziale Kompetenzen wie Kommunikation auf mehreren Kanälen (wer sich einmal zusammen mit einer engagierten Runde in einem bayer. Wirtshaus befunden hat, weiß, dass diese Kommunikation durchaus redundant, lautstark, wenig rational und manchmal körperlich sein kann), aber dennoch: findet ein ganzer Philologenverband im Jahre 2018 keine anderen Möglichkeiten der verbreitenswerten Kontexterzeugung als Schafkopfen?

Ich hoffe doch, dass es an bayerischen Gymnasien noch eine Vermittlung mathematischer Kompetenzen außerhalb des Kartenspiels gibt (ich bin da seit längerer Zeit nicht mehr Schüler). Wie ich bereits des Öfteren auf Twitter geschrieben habe, bin ich ein großer Verfechter von Kontext für das Lernen neuer Dinge. Wie soll das Gehirn auch ohne Kontext und Emotionen abstrakt präsentierte Inhalte kategorisieren und verknüpfen? So gesehen wäre Schafkopfen in der Tat eine Art von Kontext. Dennoch glaube ich, dass wir in der heutigen „globalisierten Welt“, in der Bayern bessere Themenfelder für die Schaffung von Kontext finden können.

Mathematik wäre so ein Fach, dass aufgrund seines meist „kontextfrei“ präsentierten Stoffes (oder des großen Erfolgs von Pädagogen, die es schaffen, für die Mathematik das „Warum soll ich das lernen“ zu beantworten) von Kontext profitieren würde. Aber Schafkopf? In einem Bundesland, in das lt. stat. Bundesamt zwischen 1991 und 2015 fast 800.000 Menschen aus anderen Gegenden Deutschlands zugezogen sind, in dem ca. 10% der Einwohner, die hier leben und arbeiten einen Migrationshintergrund haben? Ich denke, das Lehrpersonal an Universität und Gymnasium ist durchaus in der Lage, hier eine bessere Möglichkeit zu finden. Wenn dann in der Pause oder in einer AG wie in Theater- oder Fotogruppe zusätzlich allgemein bayerisches Kulturgut vermittelt wird, warum nicht?

Was die strategischen und planerischen Kompetenzen angeht, ist die Idee, dies anhand eines Spiels wie Schafkopf zu vermitteln, durchaus positiv. Im Gegensatz zu anderen Spielen fällt Schafkopf ausdrücklich nicht unter den §284 StGB und zählt nicht als Glücksspiel (Watten hingegen darf man auch in Bayern nicht um Geld!), der Erfolg hängt also von den Fähigkeiten der Spieler ab. Aber auch hier greift dieses verbissene Festhalten an vermeintlich urbayerischen Traditionen (s.o.) zu kurz. Es gibt genügend Möglichkeiten, Spieltheorie im Lehrplan des bayer. Gymnasiums unter zu bringen. Dann aber im Vergleich mit anderen Spielen. So bringt man vielleicht SuS dazu, kein Geld beim Pokern zu verlieren, wenn sie wissen, dass Schafkopf die bessere Wahl wäre. Und wir befinden uns immer noch im Bereich des Kartenspiels. Es gibt für eine spätere akademische oder berufliche Zukunft so viele andere Themenfelder, die zukunftsorientierter wären.

Zäumen wir das Pferd zum Abschluss hin mal von einer anderen Seite auf. Schule hat (auch für das Gymnasium) den expliziten Auftrag, bei der Persönlichkeitsbildung der SuS mitzuarbeiten, diese auf Studium und Beruf vorzubereiten und zu mündigen Mitgliedern unserer Gesellschaft zu bilden. Ich bin mir sicher, dass für diese verbindlichen Ziele das Schafkopfen keinen Platz auf den vorderen Rängen einnehmen wird. Ob das nun Kommunikation in heterogenen Teams aus unterschiedlichen Kulturen ist (gehen Sie mal durch die Uni in Garching), statistische Beurteilung von Algorithmen oder aber, um der Klassik ebenfalls Raum zu geben, eine Beurteilung des Philinos-Vertrags zwischen Karthago und Rom 304 v.Chr. im strategischen Kontext der Seeherrschaft im westlichen Mittelmeer zu geben.

Feuer weitergeben, nicht Asche bewahren

2017 exportierten bayerische Unternehmen Waren im Wert von 192 Mrd. Euro (Quelle). Es gibt große Unternehmen in Bayern mit mehr als 10000 Beschäftigten und kleine, moderne Best 50, die von der Bayer. Staatsregierung ausgezeichnet wurden. Ich behaupte, dass bei keinem der Unternehmen aus der Liste (den „Dickschiffen“ mit mehr als 10000 Beschäftigten oder den „Best 50“) Schafkopf auf dem internen Ausbildungsplan steht. Diese Unternehmen haben völlig andere Wünsche an das Bildungssystem als die vermehrte Beschäftigung mit Schafkopfen!

Eine Aussage wie „Wir wünschen uns, dass das Kartenspiel gerade in digitalen Zeiten wieder mehr an Bedeutung gewinnt, auch in der Schule“, stößt in der Wirtschaft, gelinde gesagt, auf hochgezogene Augenbrauen. Ein solcher Satz enttarnt aber auch die gesamte Mitteilung. Den Philologen sitzt der Nachwuchs schlicht zu oft vor einem Display statt vor einem guten Blatt. Zurück vom organischen LED zum organischen Papyrus, sozusagen. Ein Hoch dem klassischen Buch (als ob Polybios seine Meinung ändern würde, würde er bemerken, dass er auf einem eInk-Display erscheint).

Das Blicken auf ein Smartphone- oder Tablet-Display hat nun aber mit dem angestrengt Nachdenken etwas gemeinsam: beide sind von Nichtstun bzw. Zeit vertrödeln kaum zu unterscheiden. Was dem digital wenig erfahrenen Gymnasial-Pädagogen also als ein „dumm aufs Handy gucken“ erscheinen mag, kann durchaus der Kollegiat aus dem Physik-Lk sein, der gerade live die Daten des SOHO-Sonnensatelliten der NASA abruft, der Deutsch-Schüler, der für sein Referat Quellen auf Hawaii zu Adalbert von Chamisso abruft (ja, raten Sie mal, wer die erste Grammatik des Hawaiianischen geschrieben hat, auch das lässt sich auf dem Smartphone lernen) oder aber jemand, der gerade virtuell durch neue Ausgrabungen in Pompeji schreitet, um für Geschichte zu lernen.

Es gibt den schönen Spruch, „wenn Du nur einen Hammer kennst, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus“. Kenne ich nicht einmal den Hammer, sondern nur den Faustkeil, dann sieht’s für die Zukunftssicherheit der schulischen Bildung an Gymnasien noch finsterer aus. Anstatt wie aktuell en vogue jede Diskussion in eine digitale (pun intended) Auseinandersetzung zwischen angeblich analoger und digitaler Bildung zu treiben, wäre der BPV meiner Meinung nach gut beraten, die Karten zusammenzuwerfen und nochmal neu zu mischen. Es hat jeder „Weida!“ gesagt. Und da’s kein Turnier, sondern ein Blog ist, gibt’s auch kein „muss“ 🙂

Lasst die SuS karteln, wenn sie wollen, erklärt Ihnen die bayerische Kultur und unsere Verfassung, und bereitet die Gymnasiasten auf das Studium vor, denn wenn ich da Aussagen bayerischer Professoren lese, liegt wichtigere Arbeit als eine Runde Schafkopf vor dem Gymnasium.